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Günther Anders – kein antiquierter Medienphilosoph

Günther Anders

Kein antiquierter Medienphilosoph

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Heute wäre Günther Anders (1902-1992), der unbeugsame Moralist, streitbare Publizist und bahnbrechende Technik- und Medienphilosoph, 127 Jahre, doch viele seiner Thesen und scharfsinnigen Überlegungen z.B. zur Antiquiertheit des Menschen im Zeitalter der Technik sind vor allem auf dem Hintergrund heutiger Medieneuphorie aktueller denn je. Denn das von ihm so genannte: “promethische Gefälle“ zwischen den unvollkommenen Menschen und seinen immer perfekter werdenden Technik- und Gerätewelt sowie der Imperativ der Apparate, hat im Zeitalter der digitalen Revolution eine ungeahnte Dimension angenommen, die alle Bereiche der Alltagskultur durchdringt und deren Ende noch lange nicht abzusehen ist.

Dabei ging es Anders nie um blinde Technikfeindlichkeit, sondern um eine tiefe Reflexion jedes Menschen über die immanenten Ziele seiner Apparaturen, angefangen vom Auto oder Flugzeug, über Radio, Fernseher und Computer bis hin zu Waffentechniken und Atombomben.

Günther Anders wurde am 12.Juli 1902 in Breslau als Sohn des bekannten Psychologen-Ehepaares Clara und William Stern geboren, deren Psychologie der frühen Kindheit bis heute als Standardwerk gilt und deren Begriff Intelligenzquotient schnell Eingang in die Alltagssprache gefunden hat. Das Material für das Stern´sche Standardwerk zur Kindheitspsychologie beruht ausschließlich auf der Beobachtung der beiden Kinder Günther und Eva: Jeder Laut, jede Bewegung ihrer Kinder wurde von dem Psychologenpaar aufgezeichnet und wissenschaftlich ausgewertet.

Eine solche Kindheit bleibt nicht ohne Folgen. Günther Stern will sich als Heranwachsender von der übergroßen Macht der berühmten Eltern befreien, sein eigenes Leben leben, löst die Bindung weitgehend und nennt sich fortan Günther Anders. Nachdem er sich als Jugendlicher stark mit Musik und Malerei beschäftigt, macht er – noch als Schüler auf einer Klassenfahrt  nach Frankreich – eine fundamentale Erfahrung, die sein gesamtes philosophisches Denken prägen wird: “Dort wurde ich bereits von meinen Klassenkameraden, ich war der einzige Jude in der Klasse, ich kann beinahe sagen gefoltert“(1).

Seitdem gilt das Interesse des Atheisten Günther Anders von seinen Romanen bis zu seinen philosophischen Reflexionen nur einem Thema: dem Menschen – oder genauer formuliert: Die Spezies Mensch in der von ihm selbst geschaffenen Welt: “Der Welt gegenüber ist der Mensch ein Fremder. Diese Fremdheit aber ist die Voraussetzung seiner Freiheit“ (2)

Innerhalb dieser fast nihilistischen Weltfremdheit spielt für Anders die Technik eine besondere Rolle: Sie ist die Macht des Menschen, sich eine eigene Welt zu schaffen bzw. zu gestalten und sich die Welt gleichermaßen zu zerstören (z.B. durch die Kriege, Atombombe usw.)

Folgerichtig fordert Anders eine „Soziologie und Psychologie der Dinge“(3), die er exemplarisch an zwei bis heute gültigen, nahezu universellen Maschinen durchexerziert: Dem Radio und dem TV-Apparat und es wäre spannend, diese fortzusetzen bis hin zum Internet und dem Handy. Bereits 1927 publizierte Anders eine Arbeit mit dem Titel: “Zur Phänomenologie des Zuhörens“ und schließlich die erste medienphilosophische Arbeit: “Spuk im Radio“, in der er erstmals seinen philosophischen Grundgedanken publiziert. Dieser besagt, dass das technische Medium das dem Menschen Gemäße überschreitet und damit tendenziell zerstört – ein Gedanke, der später von Theodor W. Adorno aufgegriffen und als Schock der Ubiquität bezeichnet wurde. Im Gegensatz zu den Arbeiten Walter Benjamins durchzieht diese These das gesamte medienphilosophische Werk von Anders: Die technische Reproduzierbarkeit von Welt schlägt zurück auf den Gegenstand und verändert den Konsumenten negativ.

Konkret hat Anders dies am Gegenstand des Fernsehens untersucht und als Erster einen Essay zu diesem Thema unter dem Titel: “Die Welt als Phantom und Matrize“ in seinem Klassiker“Die Antiquiertheit des Menschen“ 1956 veröffentlicht. Bei dieser Reflexion über das Fernsehen interessieren ihn besonders die Live-Übertragungen, die er als neue mediale „Situation“ kennzeichnet und die das Verhältnis des Menschen zur Wirklichkeit grundlegend neu definiert, da das Fernsehbild keinen der Sphären zuzuordnen ist, in der wir normalerweise denken: Schein und Wirklichkeit, Abbild oder Realität: “Die gesendeten Ereignisse sind zugleich anwesend und abwesend, zugleich da und nicht da, sie sind Phantome, denn Phantome sind ja auch nichts anders als Formen, die als Dinge auftreten.“ (5)

Durch die Erkenntnis, dass das Fernsehbild weder Bild noch wirklich ist, hat Anders einen entscheidenden Schritt für die Entwicklung modernen Medientheorien gemacht, den wir heute unter dem Begriff der Virtualität subsumieren. Auch die „digitale Erzeugung virtueller Realitäten im strengen Sinne stellt ebenfalls die Produktion ontologisch zweideutiger Erfahrungsräume dar, die weder Abbilder noch Simulationen, aber auch keine authentischen Wirklichkeitsräume sind“ (6)

Diese ontologische Zweideutigkeit des Fernsehens bringt es mit sich, dass das, was im Fernsehen auftaucht, die Differenz zwischen Ereignis und Abbild auslöscht:

„Allein schon die Kameraeinstellung und Kameraführung, Bildschnitt und Bildfolge sind wertende, urteilende Verfahren“(7), die der Konsument aber nicht als solche erkennt: „Die strukturelle Täuschung, die das Fernsehbild evoziert, macht den Konsumenten einerseits abhängig und nimmt ihm die Möglichkeit, diese Abhängigkeit zu durchschauen“(8). Anders geht in seiner kritischen Analyse aber noch einen Schritt weiter, indem er die These aufstellt, die TV-Sendung strukturiere nicht nur das Bewusstsein ihrer Seher, sondern auch das Verhalten ihrer Benutzer und erzeuge so einen bestimmten Menschentyp, den Masseneremiten“, eine Art „Heimarbeiter“, der mit Hilfe des TV Apparates auf paradoxe Art und Weise an der „Verwandlung seiner Selbst in einen Massenmenschen“ arbeitet – und er muss für diese seltsame Arbeit auch noch bezahlen (9) – oder daran unverhältnismäßig viel verdienen, möchte man heute ergänzen.

Ein weiteres Phänomen, das der Massenkonsum von TV erzeugt, hat Anders lange vor Barry Sanders („Der Verlust der Sprachkultur“(10)) formuliert: Mediengeräte wie Radio, Fernseher (später Videorecorder, DVD Player, Computer usw.) nehmen ihren Konsumenten das Sprechen ab, berauben sie der Ausdrucksfähigkeit, der Sprachkunst. Heute am deutlichsten und gleichsam Dramatischsten in der Welt der Emoticons, einem kleinen Icon, das vom Kuss bis Zorn, von Sonne bis Schlaf fast alles in einem einzigen Zeichen darstellen will, ohne in irgendeiner Form Sprache (oder Schrift) zu nutzen. Eine Reduzierung der möglichen Kommunikation auf die Pixel eines einzigen Zeichens, das der Empfänger erschließen muss, alleingelassen in seiner Interpretation.

Anders sah schon vor langer Zeit am Horizont einer solchen Entwicklung eine industrielle Oralphase aufleuchten und eine sukzessive Infantilisierung des Menschen. Vor allem erzeugt durch eine Distanzlosigkeit zwischen Rezipient und Medium, eine Kumpanei mit dem Universum, die durch den Voyeurismus von Reatilty TV, nachgestellten Modren, Fake News oder Pornos im Internet eine ganz neue Dimension und Aktualität erlangen.

Diese Liste medienkritischer, scharfsinniger und heute noch hochaktueller Thesen lässt sich noch erweitern, so z.B. die „Bildsucht als Schlüsselphänomen unseres Zeitalters“(11), die Günther Anders bereits in den 50er Jahren als „Ikonomanie“ erkannte: Eben jene Fähigkeit der Maschinen wie Fotoapparat, Videorecorder, Filmkamera, heute Hany und Computer eine jederzeit reproduzierbare zweite Existenz in dem so schnell dahin laufenden Leben zu schaffen, wobei auch hier für den Einzelnen die Grenzlinien zwischen dem realen und aufgezeichneten Leben oft verwischen und nicht mehr erkennbar sind.

Allerdings sind diese medientheoretischen und medienphilosophischen Arbeiten nur ein kleiner Teil seines vielschichtigen Schaffens und Lebenswerks. Neben Romanen und poetischen Arbeiten hat er sich vor allem  in seiner letzten Lebensphase mit dem Imperativ der Waffen-Apparate und der Frage nach der Mitschuld des Einzelnen an dem Abwurf der Atombombe über Hiroshima beschäftigt.

Wer eine gelungene Einführung in das Gesamtwert Günther Anders´ sucht, dem sei der kleine Band „Günther Anders“ des Wiener Philosophieprofessors Konrad Paul Liessmann empfohlen. Er hatte die Chance, Anders kurz vor dessen Tod in zahlreichen persönlichen Gesprächen nach Motiven und Einzelheiten seines Lebens und Wirkens zu befragen. Liessmann, auch Gründungsmitglied der 2012 gegründeten „Internationalen Günther Anders-Gesellschaft“ gelingt es in dem bei C.H. Beck erschienenen Bandes mehr als eine Biografie zu schreiben: Er zeichnet das Bild eines Mannes, dessen Leben sich „nahezu mit dem vielleicht bislang grausamsten Jahrhunderts der Menschheitsgeschichte“ deckt und der gerade aus dieser  Erfahrung heraus immer wieder die entscheidende Frage stellte, welches Verhältnis sich zwischen Mensch und Technik entwickelt. Und diese Frage stellte sich vor hundert Jahren, stellt sich  heute und wird sich noch in den nächsten Jahrhunderten immer neu stellen.

Zitate aus :

Konrad Paul Liessmann: Günther Anders, München 2002, 206 Seiten ISBN 3 406 48720 3

1)2)3)6)7)8)

Die Antiquiertheit des Menschen/ Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution/Band 1 / Beck 1956

4)5)9)11)

Barry Sanders, Der Verlust der Sprachkultur-