Bücher - Nachgedacht

Bücher – Kleine Freunde zwischen großen Deckeln

Bücher

Kleine Freunde zwischen großen Deckeln

Bücher sind wie alte Freunde oder Bekannte, manchmal lästige Kumpel, andere sogar frühere, vielleicht sogar heimliche Geliebte. Die meisten jedenfalls sind ein Stück eigener Vergangenheit im Regal. Täglich läuft man daran vorbei wie an einer selbstverständlichen Tapete ohne Wert. Ohne sie zu beachten. Nur manchmal. Manchmal, wenn die Gedanken schweifen oder man grade nicht weiß, was man denken soll, bleibt man kurz stehen, schickt die Augen auf die Reise von oben nach unten, links und rechts im Regal und tatsächlich, man hat zu vielen von ihnen ein besonderes Verhältnis.   
Vielleicht auch eine eigene, gemeinsame Kurz- oder Langgeschichte. An das Eine erinnert man sich kaum noch, der Roman sagt einem nichts mehr oder der Ratgeber ist nichts weiter als ein Geschichtsbuch der früheren Etikette. Wie bei alten Bekannten, deren Namen man einfach vergessen hat.     

Vieles in der Bücherwand fällt so durch das Sieb der Gehirnwindungen. Manche und Manches allerdings bleibt im Sieb hängen. Da stoppt plötzlich das Auge und das Gehirn meldet sich wie eine alte Festplatte, die in den Stecker gesteckt wird. Und aus dem Nebel des Vergessens taucht vielleicht eine kleine Szene aus einem Roman, ein Protagonist, eine Nebenrolle auf, die einen damals an seine Schwester erinnert hat. Schemenhaft ziehen Erinnerungen vorbei und formieren sich an einem dünnen Erinnerungsfaden, an dem die Gefühle mit den Buchseiten und letztendlich mit den Wörtern verknüpft sind. Vielleicht ist es auch eine wichtige Erkenntnis von damals, die durch nur einen Satz bis heute in einem präsent ist.

Solche Momente sind Glücksfälle und passieren leider zu selten, weil man zu selten vor der Bücherwand steht  und die Tapete der Möglichkeiten lebendig werden lässt, um einen leisen Flirt mit den Buchseiten zu beginnen.

Und plötzlich entdeckt man alte Schätzchen, an die man Jahre nicht gedacht hat, nimmt sie sorgsam aus der hintersten Ecke in die Hand und mit einem Mal werden Buchstaben in einem lebendig. Dann spürt man plötzlich, was uns die Seiten früher einmal gesagt haben und im besten Fall kommt sogar das Urgefühl des ersten Lesens wieder. Dieses Urgefühl wird allerdings dann erleichtert, wenn  man merkt, was man früher alles sorgsam unterstrichen oder neben dem Text mit einem langen Ausrufe- oder Fragezeichen versehen hat. Dann liest man nicht nur in dem Buch, sondern ein Stück in sich selbst.  Das fand ich also damals wichtig, und heute? Das habe ich nicht verstanden? Heute? Daran habe ich also früher gezweifelt. Und man denkt: Alle Achtung, man hat sich weiter entwickelt oder aber, an dem Punkt bin ich ja genau so weit  wie früher. Vielleicht kommt einem die These von früher heute etwas gewagt vor und so weiter. Zeit und Sein lässt sich an solchen Seiten eng miteinander verknüpfen.

Das gilt natürlich auch für Autoren oder Autorinnen. Einige hat man bereits nach dem ersten Lesen vergessen, aber von manchen konnte man nicht genug lesen. Jedes neue Buch wurde sehnsüchtig erwartet, jede Rezension verschlungen. In einige hat man sich sogar mentalverliebt. Man musste das Bild hinter den Zeilen sehen. Man konnte sich sehr intensiv hineinversetzen in deren Innerstes und fast schon wusste man, wie es weitergeht, so genau kannte man sich schon nach dem 3. Buch. Mir ist das z.B. so mit Siri Hustvedt  ergangen (aber das ist eine andere Geschichte).

Viele Bücher aber, vielleicht sogar die meisten, wenn man ehrlich ist, stehen nicht nur in einem selbst, sondern sprichwörtlich auch im Regal in der zweiten Reihe. Sie sind vergessen, ausgelesen, vergangen. Altpapier mit Buchstaben. Dennoch fällt es schwer, sie zu entsorgen. Höchstens noch in den Bücherschrank am Markt bringen. Auch das tut manchmal weh, denn obwohl das alte Schätzchen in der zweiten Reihe gelandet ist, ist es dennoch früher einmal durch einen durch gegangen, als Augenfutter, Seelenbalsam oder Angstschatten.  Später dann sieht man die Buchdeckelwand an und weiß, die Kinder haben nicht diese Bindung an die kleinen Lebenszeiten aus Papier. Sie haben andere Freunde, Bekannte und Geliebte, vielfach aus Nullen und Einsen, damit aber kein bisschen weniger wertvoll. Nehmen nur weniger Platz in Anspruch. Bei ihnen sind die Tapeten Tablets geworden.

Sie werden das meiste wegwerfen. Oder verschenken. Seis drum. So ist Vergänglichkeit des Seins auch die Vergänglichkeit der Bücher. Vielleicht sollte man sein Lieblingsbuch mit ins Grab nehmen. Ob man allerdings noch einmal darin lesen kann, ist fraglich.

 

C  Bilder&Text Michael Troesser