Auf der Suche nach den nervösen im Land

Jürgen Wiebecke liest aus dem Buch: "Nervöses Land"

                                                       

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Jürgen Wiebicke hatte seit langem die Idee, mit einem Freund zu Fuß durch die Republik zu wandern und das Datum hierfür stand sogar bereits fest. Das hat aber aus irgendeinem Grund nicht geklappt und so hat er sich im heißen Sommer 2015 mit Schlapphut, leichtem Gepäck und ohne Smartphone von Köln aus alleine auf den Weg gemacht: „Allerdings nicht durch die gesamte Republik, sondern nur durch NRW“, sagt er verschmitzt „Und ohne festes Ziel“. Von Köln aus hat er sich treiben lassen bis zum Niederrhein, Krefeld, Datteln, Bocholt, Essen, Dortmund, ins Münsterland und Bielefeld, von wo aus er dann nach vier Wochen schließlich mit dem Zug zurückgekehrte.

IMG_5026Sein Resümee nach all den zufälligen oder verabredeten Begegnungen: Dieses Land ist ein „nervöses Land“. So lautet denn auch die Überschrift seines Buches:“Zu Fuß durch ein nervöses Land – auf der Suche, was uns zusammenhält“. Tatsächlich empfinden viele die Lebenswirklichkeit heute anders als in Jahrzehnten gefühlter unbesorgter Sicherheit. Diese Unsicherheit aufzuspüren und die Fragen des gemeinsamen Zusammenhaltes zu diskutieren, war denn auch der angesagte Plan für diesen K24Kultursalonabend. Über 50 Gäste waren dieser Einladung gefolgt.

Dabei wollten einige auch den erfolgreichen Radiojourrnalisten Wiebicke sehen, dessen angenehme Radiostimme viele aus Sendungen wie „Das Philosophische Radio“ und „Neugier genügt“ bei WDR 5 kennen.

IMG_5011Bereits nach der ersten Textpassage des Autors, der geplanten Begegnung mit der renommierten 81jährigen Künstlerin Mary Bauermeister, die ein beneidenswertes Lebenskonzept zwischen künstlerischer Freiheit und sozialem Engagement lebt, war das Publikum etwas ratlos, empfand sie diese Künstlerin und deren Leben eher als beneidenswert, von Nervosität keine Spur. Auch die zweite vom Autor vorgetragene Textpasse, die zufällige Begegnung mit einem einsamen Angler im Regen, der sich Zeit für die Zeit nimmt, empfanden viele als bewundernswert und suchten auch in diesem Beispiel nach der Nervosität.

Dabei gibt es in dem Buch genug Beispiele, die ein düsteres Bild dieses Landes zeichnen, wie z.B. der Arzt in dem Krankenhaus, der sehr offen das marode Medizinsystem in NRW beschreibt. Oder die Bauern, die dem industriellen Druck kaum standhalten und ihre Höfe verkaufen müssen. Vor allem aber auch die Landflucht, die zu einer Heimatlosigkeit in der eigenen Heimat führt. Beispiele, die der Autor nicht ansprach.

IMG_5028Als vom Publikum auch ein Bild gezeichnet wurde, in dem es genug positive Beispiele der Kommunikation nicht nervöser Menschen im Land gegen die verwaiste Linde in der Mitte der segregierten Dörfer gibt, meinte Wiebicke: “In Ratingen ist scheinbar die Welt noch in Ordnung“.

Als nach der Pause dann als drittes Beispiel ein Bocholter Großindustrieller beschrieben wurde, der ein vorbildliches, menschenzugewandtes Arbeitsklima mit stabiler Entlohnung und niederschwelligen Hierarchien beschreibt, suchte das Publikum einmal mehr die Nervosität im Vorgetragenen.

In der folgenden, anspruchsvollen Debatte blieb die Frage letztendlich offen, wo die Nervösen im Land sind, was die Nervösität ausmacht und vor allem auch die Frage nach dem, “was uns zusammenhält“. Ist in dem Buch auch tatsächlich die Nervosität drin, die der Titel beschreibt? Oder kommt dies in den vom Autor ausgesuchten Passagen nicht genug zur Geltung?

Am Ende war ein wenig Ratlosigkeit zu spüren und manche Fragen konnten nicht beantwortet werden, ein gemeinsamer Nenner hätte noch mehr Zeit benötigt, was aber nach dreistündiger Debatte nicht möglich war.

IMG_4969Dank gilt dem Autor für den von ihm mit großer Energie gestalteten Salonabend, den viele Gäste durch den Kauf des Buches vielleicht für sich noch weiter klären wollten.

Schade dass der Musiker Harry Meschke, der den Abend mit den sanften Tönen seines wunderbaren Hang Instrumentes bereicherte, am Ende nicht mehr die Möglichkeit hatte, nach den heftigen Diskussionen den  Abend noch ausklingen lassen zu lassen.

Unter dem Strich nach Kabarett und Magie ein ernster Abend, den viel Gäste später als „anregend“, “anspruchsvoll“ und “spannend-interessant-kontrovers“ spiegelten.