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Peinliche Pause – Schweigen im Radio

Fernfunk

 

Zugegeben, ich liebe Pausen. Kurze wie bei einem Sekundenschlaf ebenso wie heimlich Ausflüge beim Abschalten während langweiliger Sitzungen oder Vorträgen. Jede Pause ist eins Stand-by des Lebens, bei dem die Festplatte des Daseins kurz herunterfährt auf einen wohligen Zustand irgendwo zwischen Traum und Trance. Auch jetzt würde ich gerne eine Pause machen, wäre da nicht die nette klei8ne Geschichte von der peinlichen Pause, die dem Einen Stress, dem Anderen sichtbar Spaß bedeutete.

Es war vor längerer Zeit in Berlin beim damaligen Rias-Radio während der Sendung “Rundschau am Mittag“. Ich war als Interviewgast geladen, um über irgendeinen Kongress zu berichten und sah meine lang ersehnte Chance endlich gekommen: Ich wollte während einer Live-Sendung im Radio-Studio sitzen und nichts sagen. Einfach schweigen und das provozieren, was für jeden Moderator blanker Horrer ist. Und ich wollte sehen, was geschieht. Die Amerikaner nennen es „Dead air on the radio“ und die Deutschen: “Nullmodulation“. Nämlich Totenstille im Radio, eine Sendepause, die eigentlich keine Pause sein darf und zur völligen Peinlichkeit ausarten kann, da es im rein auditiven Radio so etwas gibt wie einen Zwang zu sprechen (oder Musik zu spielen). Stille über einen längeren Zeitraum darf es nicht geben.

Schließlich saß ich dem Moderator im Studio gegenüber, das kurze Vorgespräch war beendet, der letzte Musiktitel wurde ausgeblendet, das rote Licht der Live-Situation leuchtete. Der sehr routiniert wirkende Moderator nannte das Thema des Kongresses und stellte mich seiner Hörerschaft vor. Er schaute mich freundlich aber bestimmt an und stellte mir seine erste Frage. Ich schwieg: Dann zwei drei Sekunden Pause. Das geht noch. Dann atmete der Moderator tief und hörbar ein. Sofort fixierte er mich genauer, als wolle er herausbekommen, was mit seinem Gegenüber los ist: Ist er eingeschlafen, hat er einen Herzinfarkt, einen Hörsturz? Das war ihm in seiner 30jährigen Laufbahn noch nicht passiert und er stellte die Frage schnell noch einmal, diesmal etwas ernster und eindringlicher.

Wieder nichts. Wieder nichts als Pause, als Stille, die langsam peinlich wurde. In solchen Momenten ziehen sich die Sekunden zur Unendlichkeit. Nach weiteren Rückfragen, Provokationen und Versuchen, mir doch endlich den Mund zu öffnen, gab er schließlich auf, nicht ohne seiner Hörerschaft eine etwas sinnlose Erklärung zu geben: „Sie haben es am Papierrascheln gehört, liebe Hörer, mein Interviewpartner ist wirklich hier. Auch der Redakteur der Sendung nimmt das noch gar nicht ernst, was hier passiert, wir erleben also einen Dialog in Form eines Monologes. Mal etwas neues im Rundfunk“.

Sinnlos deshalb, weil er genauso selbst mit dem Papier hätte rascheln können. Es schien, als wäre er in einem Wahrheitszwang der Hörerschaft gegenüber, er holte sich sogar als Beweis für diese Wahrheit Hilfe vom Redakteur. Aber auch das hätte letztendlich gelogen sein können. Daran sieht man, wie stark der Hörer seinem Gegenüber im Radio traut und kaum hinterfragt, was er hört.

In dem Moment habe ich die Situation durch meine Stimme gelöst und wir unterhielten uns in der Folge des Interviews live über Moderation und die Grenze von Sprache, Stille und Radio.

Heute wäre ein solches Experiment zumindest in den Lokalfunkstationen nicht mehr möglich: Bei einer Nullmodulation, also Pause von wenigen Sekunden, schaltet ein Computer im Studio automatisch auf das Mantelprogramm um. Solche Pausen hören also der Vergangenheit an.

Wie überhaupt Pausen oft verdächtig sind in einer schnelllebigen Zeit der Information und Kommunikation, es sei denn sie sind angeorndnet, um den Arbeitenden noch besser zu befähigen zu arbeiten oder das Bruttosozialprodukt zu steigern. In Pausen wird nicht gekauft, werden keine Abschlüsse gemacht, Pausen unterbrechen nur den unnötigen Motor der Abläufe auf allen Ebenen. Interessanterweise wird die Zeit der Produktpräsentation in den Medien: Werbepause genannt.

Daher ist für mich die Pause heute zu einem wertvollen Gut geworden, die ich umso mehr schätze, je nötiger sie wird und ich sie unbeschadet in die Abläufe meines Alltags einbauen kann.

So, liebe Leserinnen und Leser,  jetzt gönne ich mir meine wohlverdiente (Schreib)Pause und träume von der Zeit, in der Pausen noch viel selbstbestimmter möglich waren und das hielten, was man sich von ihnen versprach: Eine kleine, paradiesische Sonneninsel im Fluss der Zeit.

(Das Experiment: „Schweigen im Hörfunk“ ist während meine Zeit als Lehrer an der Universität Bielefeld im Bereich Sprachwissenschaft und Medien von mir entwickelt worden und diente u.a. als Vorlage für mehrere wissenschaftliche Analysen, unter anderem als Teil meiner Dissertation mit dem Titel:“Moderieren im Hörfunk“. M.Tr.)

C Text und Bilder Michael Troesser